IT-Challenge rund um ein autonomes Modell-Auto und eine steile Lernkurve
07.01.2025
„Cyberphysische Systeme“ sind Themenbereiche innerhalb der IT-Umschulungen. 2024 setzen Umschüler*innen bei der DAA Oberhausen erstmalig in den „CPS-Wochen“ die Theorie in die Praxis um, indem sie Automodellbausätze zusammenfügen und für autonomes Fahren programmieren. Das Vorzeige-Projekt schult zudem Teamwork, Frustrationstoleranz und mehr. Der Lernerfolg ist maximal.
Oberhausen – Die frische und moderne Büro-Welt auf der gesamten fünften Etage des neuen DAA-Standortes am Willy-Brandt-Platz in Oberhausen ist über mehrere Wochen zu einer ausgedehnten Spielwiese geworden. In einem mit Computertechnik voll ausgestatteten Seminarraum ist ein Tisch übersät mit Kabeln, Schräubchen und Teilen eines Automodellbausatzes. IT-Umschüler*innen tüfteln eifrig wie Kinder nach Vorlage eines Bauplanes auf einem Bildschirm. An anderen Arbeitsplätzen wird programmiert, gestaltet, produziert und koordiniert, die ausgedehnten Flure dienen als Teststrecken.
Lehre zum Anfassen, lebendig, freudvoll und knifflig, aber auch schmerzhaft. Diese Erlebniswelt bieten Systemintegrator Christoph Ickler und Anwendungsentwickler Kai Niklas, sie entwickelten ein groß angelegtes Projekt im Rahmen der IT-Umschulungen der DAA NRW. In den erstmals 2024 angebotenen sogenannten „CPS-Wochen“ wird von den Umschüler*innen ein Modellauto zusammengesetzt, verkabelt und so programmiert, dass es autonom einen Hindernisparcours absolviert. „Für uns sind das die aufregendsten, aber auch anstrengendsten Wochen. Der theoretische Unterricht und die praktische Umsetzung sind zwei Welten“, sagt Ickler, Ideengeber der sogenannten „CPS-Wochen“.
„CPS“ steht für „Cyberphysische Systeme“ und bezeichnet den Verbund informatorischer, softwaretechnischer Komponenten mit mechanischen und elektronischen Teilen, die über eine Dateninfrastruktur, wie zum Beispiel das Internet, kommunizieren. „Cyberphysische Systeme“ sind vor wenigen Jahren in den Ausbildungsrahmenplan der IHK für IT-Umschulungen aufgenommen worden. Darauf haben Ickler und Niklas mit der Entwicklung der „CPS-Wochen“ reagiert.
Zwei Teams gründen je ein Testunternehmen rund ums Auto
In dem Abenteuer sollen und dürfen die Teilnehmer*innen, so Niklas, regelrecht „das Spielkind“ rauslassen. Bei der DAA NRW wurde das Projekt des autonom fahrenden Modellautos deutlich erweitert. Rund um das Fahrzeug sollten die Umschüler*innen eine kleine Unternehmung schaffen, mit einer Corporate Identity und Website sowie medialer Begleitung mit Social Media, Fotografie, Videos und Podcasts. Zwei Gruppen von jeweils rund 20 Umschüler*innen erhielten jeweils einen Modellautobausatz und traten in einem Wettbewerb gegeneinander an.
„Das Projekt ist sehr vielfältig. Es geht schon mit dem Zusammenbau des Fahrzeug-Modells los. Da muss man auch die richtigen Kabel zusammenfügen“, erklärt Kai Niklas zu dem bis zu fünf Wochen dauernden Praxis-Vorhaben, das im Bildungsbereich in Deutschland einzigartig ist. Die Umschüler*innen organisierten, programmierten und entwarfen alles unter Anleitung selbstständig. So entstanden in den „CPS-Wochen“ im Herbst die Testunternehmen „DAACore“ und „Alphatrack Raspberry Roadster“. Unternehmens-Abteilungen Elektrotechnik (Fahrzeugaufbau), Social-Media (Youtube, Instagram, Podcasts), Infrastruktur (Server-Aufbau) und Entwicklung (Programme, Website) wurden zur Umsetzung gegründet.
Aufgebaut wurden das Automodell und eine dazugehörige Serverstruktur (Datenbankserver, Telemetrieserver, Dateiserver, Active Directory) sowie eine Corporate Identity mit Logo und Website. Die Social-Media-Abteilung begleitete die Arbeitsschritte in allen Bereichen minutiös mit Instagram-Posts, Video- und Podcast-Produktionen. Jedes Team erstellte jeweils elf Podcast-Folgen.
Begeisterung und Grenzerfahrungen
„Meine eindrücklichste Erfahrung war die Kommunikation im Team und wie gut wir zusammengearbeitet haben“, sagt Noel vom Team „Raspberry Roadster“, der eine Umschulung zum Fachinformatiker Systemintegration macht. „Viel gelernt habe ich bei den Schwierigkeiten zu Beginn, also in der Konfigurationsstruktur. Wir wurden von den Dozenten ins kalte Wasser geworfen und mussten uns tief in die Sachverhalte einarbeiten, lesen und Informationen sammeln.“ Das Team „Raspberry Roadster“ hatte laut Christoph Ickler und Kai Niklas ein knackiges Problem zu lösen, denn: der Minicomputer auf dem Auto war eine neuere Version, die schwieriger zu programmieren war als bei der älteren auf dem Fahrzeug von „DAACore“.
Und das Team „Raspberry Roadster“ ging bei der Lösung des Problems in den Schmerzbereich. „Als festgestellt wurde, dass der Bausatz nicht ganz passt, wollten die Programmierer das unbedingt hinbekommen, haben Überstunden gemacht und Nachtschichten geschoben. Das war beeindruckend und unfassbar toll“, sagt Teamleiterin Nicki, die aus dem Marketing kommt und sich nun zur Fachinformatikerin für Anwendungsentwicklung umschulen lässt. Für Christoph Ickler sind die Grenzerfahrungen wie im Raspberry-Team im Hinblick auf die „Frustrationstoleranz“ nicht zu ersetzen. „So eine Frustration zu erleben, ist unfassbar wertvoll für das Berufsleben“, sagt Ickler.
Maximale Lerneffekte und glückliche Gesichter
Neben der Frustrationstoleranz und dem Kompetenzerwerb machen die Umschüler*innen wertvolle Erfahrungen in Punkto Persönlichkeitsentwicklung (Überwindung, Selbstbewusstsein), Teambuilding oder Gruppendynamik. Nicht zuletzt machen Teilnehmer*innen mit Migrationshintergrund große Sprünge in der Sprachentwicklung. „Der Lerneffekt geht durch die Decke – bei denen, die ernsthaft mitmachen“, sagt Kai Niklas und betont zudem die deutlich verbesserten Berufsaussichten: „Wir bringen sehr viel mehr Umschüler*innen in den Markt. Es bringt aber auch den Ausbildungsbetrieben einen Mehrwert. Sie können die Umschüler*innen sofort einsetzen.“
Begeisterung und Glück sind bei den Umschüler*innen nach diesen eindrücklichen „CPS-Wochen“ spürbar. „Wir hatten ein Ziel, das wir unbedingt erreichen wollten. Dafür haben wir alles andere zurückgestellt. Die Anwendung der Theorie in der Praxis hilft mir sehr weiter“, sagt die aus Kamerun stammende Remy (Umschulung zur Fachinformatikerin …). Und Patrick, der eine Umschulung zum Fachinformatiker Anwendungsentwicklung macht, meint nach der aufregenden Zeit: „Ein schönes, euphorisches Gefühl.“